


Während Jahrhunderten waren die Kastanien im Tessin ein so wichtiges Nahrungsmittel, dass die Castanea sativa auch «Brotbaum» genannt wurde. Genutzt wurden alle Teile dieses grosszügigen Baums: In erster Linie die nahrhaften Früchte und das Holz als Brenn- oder Bauholz, aber auch das Tannin zum Gerben von Leder, das Laub als Streu und die Blüten für die Honigproduktion. Es überrascht daher nicht, dass auch im Bavonatal rund um die Dörfer Kastanien angepflanzt wurden.
In Kastanienselven standen die Bäume in grossen Abständen auf unbebautem Land. Wo der Boden nicht mit Felsblöcken übersät war, wuchs praktisch nur Gras. Man mähte es oder liess Vieh weiden. Um einen möglichst grossen Ertrag zu erzielen, wurden die Selven sorgsam gepflegt, das Unterholz wurde regelmässig gesäubert, damit nur erwünschte Pflanzen wuchsen. Das trockene Laub kehrte man gründlich zusammen und verfütterte es oder verwendete es als Streu für das Vieh, alte Kastanienigel wurden verbrannt oder in Gruben gesammelt, wo sie verrotteten. Neutriebe am Fuss der Stämme und trockene Äste wurden minutiös entfernt. Dank Veredelung konnten verschiedene Sorten von Früchten gezogen werden, mit je anderen Eigenschaften: süsser, grösser, langsam reifend.
Die Kastanienselven haben heute zwar ihre ursprüngliche Funktion verloren, sie gelten aber immer noch als Reservoirs für die Artenvielfalt und bieten einer grossen Anzahl Tiere und Pflanzen einen Lebensraum. Auch didaktisch sind die Kastanien wertvoll, da sie die heute verschwundene Welt der Bauern einprägsam veranschaulichen. Die Fondazione bietet regelmässig praktische Aktivitäten zu diesem Thema an, insbesondere im Rahmen des Laboratorio Paesaggio.
Gewährleistet wird die Pflege dieser Flächen durch die Fondazione – sie trifft Vereinbarungen mit einheimischen Landwirten, arbeitet aber auch mit Freiwilligen zusammen.
Das 2017 abgeschlossene Projekt Sabbione (siehe Plan) ist ein typisches Beispiel für eine Selve, die den Ortskern kranzförmig umschliesst und aus einem breit gefächerten Mosaik von Felsblöcken, Unterfelsbauten, Trockenmauern und vor allem Kastanien besteht, die teils eine bemerkenswerte Grösse erreicht haben.