


Trockenmauern sind althergebrachte Elemente der traditionellen Kulturlandschaft und historisch, kulturell und naturkundlich von grosser Bedeutung. Da sie nicht aus Zement, sondern aus lokalen Materialien erbaut sind, tragen sie zur Harmonie zwischen der gebauten Umwelt und der Natur bei. Aus diesem Grund fügte die UNESCO die «Kunst des Trockenmauerwerks» 2018 in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit ein. Trockenmauern wurden im Bavonatal überall gebaut: im Talboden, auf den Maiensässen und in höheren Lagen, zur Umzäunung von Weiden, um endlose Treppenwege und Verbindungsrouten zu markieren und Wiesen abzustützen.
Die callaie, die typischen Bauwerke, die in manchen Tessiner Tälern anzutreffen sind, sind schmale Gassen zwischen zwei Mauern. Letztere wurden aus Steinen erbaut, die bei der Säuberung der Mähwiesen zusammenkamen. Die Funktion dieser Bauwerke – faktisch einfache, beidseitig begrenzte Wege – bestand darin, das Vieh auf dem Weg zu den Weiden daran zu hindern, eine andere Richtung einzuschlagen. Diese Fusswege im Talgrund waren essenziell für die Transhumanz von Mensch und Tier. Die callaie, im Dialekt caraa genannt, verbinden den Ortskern jeder Terra mit dem Umland und enden dort, wo die historischen Alpwege beginnen.
Glücklicherweise wurden diese bedeutsamen Zeugnisse der Vergangenheit durch den Bau der Strasse und den Wandel der Lebensgewohnheiten nicht ausgelöscht, auch wenn einige Abschnitte zerstört sind. Seit ihrer Gründung engagiert sich die Fondazione für die Begehbarkeit der callaie. Dank einer detaillierten Dokumentation von 2007, die auf Erhebungen und Umweltstudien basiert, konnten über 1400 Laufmeter instandgesetzt werden. Die regelmässige Pflege, die zum Teil von der Organizzazione turistica regionale und zum Teil von Freiwilligen durchgeführt wird, ermöglicht es Wandernden, rund drei Kilometer auf solchen typischen Wegen zurückzulegen.
Heute sind die callaie ausgesprochen attraktive Wanderstrecken. Wenn man die seitlichen Mauern aufmerksam betrachtet, erkennt man unterschiedliche Bauarten: Die Steine stammten von gesäuberten Wiesen oder Felsen, die vor Ort gespalten und bearbeitet wurden, aber manchmal wurden auch bereits vorhandene Felsblöcke in das Mauerwerk integriert. Der Blick fällt beim Begehen dieser Wege unweigerlich auf das Leben, das in den Trockenmauern pulsiert. Die Ritzen und Hohlräume sind ein idealer Lebensraum für unzählige Pflanzen und Kleintiere, für Flechten und Reptilien, Wirbellose und Säugetiere. Mit anderen Worten: hier herrscht echte Artenvielfalt.